Die Elfenrose


2004-7-6

Eine tragische Geschichte, am Lagerfeuer oder in der Taverne erzählt.

Die Dinge, von denen diese Legende berichtet, geschahen zu einer Zeit, als die ÄLTEREN RASSEN noch einig und uneingeschränkt über die Reiche dieser Welt regierten und die Menschen noch ein sehr junges Volk waren. Die Geschehnisse in dieser Legende haben vor so langer Zeit stattgefunden, daß es nicht möglich - oder gar sinnvoll - ist, zu wissen, in welchem Land sie sich ereigneten.

Dies ist die Geschichte eines Sterblichen, der sein Herz an eine der ENDLOSEN verlor.

Es ist die tragische Geschichte der Liebe eines Menschen, die so groß war, daß sie als Waffe eingesetzt werden sollte.

Leider ist uns nicht überliefert, wer dieser Sterbliche gewesen ist, wir kennen heute nicht einmal mehr seinen Namen. Aber er muß wohl ein recht junger Bursche von nicht geringem Reiz gewesen sein, denn es wird berichtet, daß diese Liebe nicht ganz einseitig gewesen ist.

Für diese Erzählung will ich annehmen, daß er ein Prinz von edler Herkunft und vielleicht auch ein großer Krieger und Held gewesen ist. Wer will, darf ihn sich mit wallendem blonden Haar und schimmernder Rüstung vorstellen, Obschon das kaum den Tatsachen entsprechen wird, die Menschen lernten zu dieser Zeit gerade erst die Kunst der Metallbearbeitung von den Älteren. Dennoch paßt eine solche Vorstellung besser zu einer Geschichte wie dieser.

Unser Prinz also wurde nach einem besonders erfolgreichen Feldzug an den Hof der ENDLOSEN gebeten, um gebührend für seinen Heldenmut gefeiert zu werden. Die ENDLOSEN, und ganz besonders jene unter ihnen, die später den Seelie Hofstaat begründen sollten, begeisterten sich sehr für menschliche Heldentaten. Wenn ihnen ein Mensch besonders interessant erschien riefen sie ihn zu sich an ihren Hof, auf daß er dem hohen Rat von seinen Taten berichte.

Das war ihre Art von Unterhaltung damals, und wir wissen ja, was passieren kann, wenn man sich an den Hof der SIDHE begibt. Wer kennt nicht die Legenden von den armen Seelen, die eine Nacht mit den SIDHE tanzten, und wie eintausend und eine Nacht vergangen waren, als sie wieder in ihre eigene Welt zurückkehrten.

Wir wissen nicht, ob unser tapferer Prinz eine Geliebte zurückgelassen hat die sie sich weinend an seine Knie geklammert und ihn angefleht hat, nicht zu gehen, oder ob er freiwillig an den Hof gegangen ist, abenteuerwütig und Tod und Teufel die Nase zeigend. Davon berichtet die Sage nicht. Wir wissen nur, daß er denn gegangen ist, wie es ihm angetragen worden war.

Aber verwundert uns das? Nein, denn niemand wagte es damals - und niemand mit klarem Kopf wagt es heute - eine Einladung der SIDHE auszuschlagen, auch nicht mit gutem Grund!

Wir können jedenfalls davon ausgehen, daß er dort am Hof zum ersten Mal mit der Lady zusammen getroffen ist. Ich möchte sie hier nur als "Die Lady" bezeichnen, da auch von ihr nicht viel überliefert ist. Wir wissen heute nicht mehr, ob sie eine niedere Hofdame , oder gar die Herrin dieses betreffenden Hofes war.

Wir wissen nur dies eine mit Sicherheit: sie war eine der ENDLOSEN, eine Unsterbliche aus dem Volk der TUATHA DE DANANN - und ist es wohl heute noch - daß sie ungemein wundervoll anzuschauen war, noch wundervoller als alle anderen Damen des Hofes, wundervoller als eine sterbliche Frau es je sein könnte, und absolut wundervoller als alle Frauen, die heute über diese Erde wandeln.

Und wir wissen auch, daß sie das Verderben dieses unseres tapferen Prinzen gewesen ist.

Das allerdings ist es nicht, was diese Erzählung zu der besonderen Legende macht, die sie ist. War es doch damals nicht allzu ungewöhnlich, daß eine SIDHE einen Sterblichen ins Verderben trieb. Sogar heute noch soll so etwas ja hin und wieder geschehen. Auch bedarf es dazu kaum einer Unsterblichen, wie ich euch versichern kann...

Nein, das besondere an dieser Legende ist, daß die Lady Mitleid mit unserem Prinzen hatte, und ihn verschonen wollte. So ist diese Regung ja an sich schon bemerkenswert, doch die Lady ging sogar noch einen Schritt weiter. Um ihn von dem brennenden Verlangen zu heilen, das er für sie verspürte, nahm sie ihm jegliche Erinnerung an ihre Begegnung. Eine Variante dieser Sage will sogar wissen, daß sie ihm zusätzlich noch jeglichen Blick für Übernatürliches nahm, um ihn vor einer weiteren solchen Begegnung zu schützen. Auf jeden Fall sandte sie ihn wieder in die Welt aus, um weiter seinen Weg als Held zu gehen.

Allerdings die Liebe des Prinzen war damit nicht ausgelöscht.

Von da an waren alle seine Taten und Gedanken gelenkt von dem einen Verlangen, wiederzufinden, was er verloren hatte. Etwas, von dem er nicht mehr wußte, was es war...

Aber nein, die Legende endet hier noch nicht, denn sonst wäre sie keine. Obwohl sie bisher schon eine recht unterhaltsame, wenn auch etwas gewöhnliche Geschichte gewesen ist, und sogar ein Ende hätte, das nicht gewöhnlich ist, so beginnt die Tragödie doch erst jetzt so richtig.

Nicht nur für unseren tapferen und jetzt ziemlich einsamen Prinz hatte sich die Welt verändert. Nein, auch die Lady muß wohl mehr in diesem Zwischenfall gesehen haben, als nur eine willkommene Ablenkung im höfischen Leben.

Auf jeden Fall wird uns berichtet das sie daraufhin unseren Prinzen sucht, und sich ihm ein zweites Mal offenbart. Daß er ihr auch diesmal wieder verfiel, ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen hatte er ja jeglichen Blick für das Übernatürliche verloren und sah sie daher in ihrer reinen, natürlichen Form. Zum anderen aber wissen wir, daß er seit seinem Besuch am Hofe der ENDLOSEN absolut asketisch lebte. Und das nicht, weil er nicht genügend Gelegenheiten gehabt hätte. Einige Sagen berichten von seinen großen Taten und seinem großen Heldenmut. Auch davon, daß ihm Könige ihre schönsten Töchter zum Geschenk gemacht haben sollen.

Aber allen Versionen dieser Legende ist gemeinsam, daß er immer alleine geblieben ist, und jedes noch so verlockende Angebot ausgeschlagen hat.

Die Lady jedoch soll er sogleich liebevoll in die Arme geschlossen haben, ohne überhaupt zu wissen, wer sie ist, er hatte ja keinerlei Erinnerung an den Hof. Er soll sogar die Existenz der Unendlichen öffentlich und wiederholt bestritten haben.

Ob er nun die Lady wiedererkannt oder nicht wiedererkannt hat, wir wissen es nicht.

Wir wissen nur, daß die beiden daraufhin als Liebespaar zusammen gelebt haben. Auch aus dieser Zeit gibt es einige Geschichten, die wohl alle mehr oder weniger wahr sein können. Die meisten berichten, daß die beiden sehr glücklich waren. Mache reden von den großen Dingen, die diese Verbindung von unsterblicher Schönheit und menschlichem Heldenmut hervorgebracht hat. Eine Legende will sogar wissen, daß unser Held in dieser Zeit der Urvater aller sterblichen Elfen wurde.

Genaues wissen wir nicht. Jeder darf sich an dieser Stelle der Legende seine eigene Geschichte machen, sich am Feuer wärmen, und ein bißchen von schönen Dingen träumen, die Mann und Frau gemeinsam tun können.

Denn eines wissen wir genau: diese Verbindung muß eine glückliche Verbindung gewesen sein.

Doch leider wir wissen auch, daß sie nicht von langer Dauer war. Vielleicht war der Grund das Gesetz der SIDHE, daß es keine Verbindung mit Sterblichen geben durfte. Vielleicht wurden die Liebenden aber auch nur Opfer des angehenden Bruder Krieges zwischen SIDHE und SIDHE, der Krieg, der der das unsterbliche Volk in Seelie und Unseelie, Tag und Nacht, Sommer und Winter spalten sollte.

Vielleicht war es ja aber auch von Anfang an ein großer Plan, und die Lady hat ihren sterblichen Helden zuletzt doch auf grausame Art und Weise verraten. Der genaue Grund liegt im Nebel der Zeit verloren, ist aber für den Fortgang der Erzählung nicht entscheidend.

Die beiden wurden getrennt. Zum Besten der Geschichte wollen wir annehmen, daß dies gewaltsam geschah, obwohl wir wissen, daß unser Held dabei keinen Schaden nahm, und auch gibt es keine Erwähnung von Kampf. Was mit der Lady passiert ist, wird in keiner Legende berichtet.

Wir wissen nur, daß unser Held weder aus Trauer sein Leben sinnlos hingegeben hat, noch daß er seine Geliebte vergessen konnte. Denn sogleich hat er mit der Suche nach seiner nun zum zweiten Male gefundenen und wieder verlorenen Liebe begonnen, und war dabei von nichts aufzuhalten. Er muß in der darauf folgenden Zeit wohl noch berühmter geworden sein, als er es schon vorher gewesen ist. Und noch einsamer...

Nun, an dieser Stelle enden sehr viele Versionen der Legende, und wahrlich ist das ein klassisches Ende für eine solche Geschichte. Eine Liebe, gefunden und wieder verloren, nochmals gefunden und doch auch nochmals verloren.

Ein Held, der die Liebe in seinem Herzen bewahrt, und bis an sein Ende einsam durch die Lande streicht, immer auf der Suche nach seinem verlorenen Glück.

Aber diese Legende hat noch einen Teil, den nicht viele kennen, und der noch weniger oft erzählt wird. Besonders dann nicht, wenn welche vom Volk der Elfen anwesend sind. Denn werden die SIDHE nicht zumeist für die Urväter der Elfen gehalten? Und wer läßt es sich schon gerne gefallen, wenn seine Urväter in einem schlechten Licht erscheinen?

Nun es ist bestimmt auch ein Verdienst der UNSTERBLICHEN selbst, daß gewisse Dinge über sie nicht so allgemein bekannt sind.

Denn wer weiß schon, daß dieses Volk nicht nur die wohlmeinenden Ziehväter der Zivilisation waren, als die sie sich wohl selber immer gerne dargestellt haben? Besonders jene, die sich später dem lichten Hof der Seelie zugeordneten.

Nur wenige wissen, daß die SIDHE, bei all ihrer Macht, niemals fähig waren und sind, etwas von sich selbst heraus zu schöpfen. Immer benötigen sie die Anwesenheit von Sterblichen, um eine bleibende Veränderung zu bewirken. Und das galt und gilt natürlich auch und vor allem für ihre Kriege.

Nur sterblicher Haß und sterblicher Heldenmut konnte ihren Heeren wirklich bleibende Siege und Niederlagen bringen.

Und was ist stärker, als der Haß, der aus wahrer Liebe geboren ist? Liebe, die sich durch nichts aufhalten läßt, wahrscheinlich nicht einmal durch den Tod?

So wird es nicht überraschen, daß die eine oder die andere Seite in diesem Konflikt der UNSTERBLICHEN unseren Helden eingefangen und in ein Verließ gesteckt hat.

Welche es gewesen ist, und ob es die gleiche war, die unsere Liebenden getrennt hat, ist uns wieder nicht überliefert.

Doch die Absicht dieser SIDHE war klar: die Liebe dieses Sterblichen in Haß zu verwandeln, Haß, der ihre Gegner vernichten sollte.

Ob die Kerkermeister das Ende des Krieges als Sieger oder Verlierer erlebt haben, oder ob sie es überhaupt je sahen, wissen wir nicht.

Aber auch das ist für die Legende nicht wichtig.

Denn sie haben unseren Helden in seinem Verließ vergessen.

Ja, einfach vergessen.

Da hing er, angekettet, schwebend zwischen dieser Welt und der dem Reich unter uns, das auch Barathrum genannt wird. Gefangen zwischen hier und dort, zwischen Tod und Leben.

Erstaunlicherweise sind sich an diesem Punkt alle Quellen einig: Daß er dort wesentlich länger hing, als ein Sterblicher jemals hätte leben können. Und auch der Grund hierfür wird genau angegeben. Einer der UNSTERBLICHEN selbst hat dort für sein Fortleben gesorgt. Ein SIDHE, der unter den verschiedensten Bezeichnungen in unzähligen Sagen auftaucht, stets aber eindeutig zu identifizieren ist: Es war kein anderer als der "Wächter der Schlüssel" zum Totenreich, der auch schon als "Herr der Unterwelt" und "Der letzte König" bezeichnet wurde.

Dieser SIDHE ist auch der einzige in dieser Legende, dessen Namen ich relativ genau anführen kann. In den ältesten elfischen Schriften wird er "Kar to-kei i-Barathrum" genannt. Der Name taucht in einigen jüngeren Aufzeichnungen auch als "Kar di-tokei" auf und scheint hier einen etwas abwertenden Ton zu haben.

Aber ich schweife etwas vom Thema ab. Denn eigentlich ist die Legende nun zu Ende. Zumindest war sie auch mir bis noch vor ein paar Tagen nur bis hier bekannt. Aber ich hätte euch keine große Sage versprochen, wenn ich nicht noch etwas für euch zu erzählen hätte.

Denn als ich vor einigen Tagen diese Geschichte in einer Taverne erzählte, geschah mir etwas sehr denkwürdiges: gerade als ich mit meinem Bericht enden wollte, erhob sich einer der Zuhörer und trat auf mich zu. Ich hatte ihn bisher nicht weiter beachtet, da er recht finster wirkte, und man bekanntlich solchen Personen ihren Frieden läßt. Als er direkt neben mir stand, konnte ich zum ersten Mal richtig sein Gesicht sehen. Beinahe hätte ich meine Höflichkeit vergessen, und einen Schrei des Erschreckens ausgestoßen, als ich sein Antlitz sah. Sein Gesicht war fürchterlich blaß, und dazu über und über wilden Mustern bemalt! Aber als er zu sprechen begann, glaubte ich, meine letzte Stunde habe geschlagen. Er hatte spitze Eckzähne, fast wie ein Wolf!

Doch ich hatte gar keine Zeit für meine Furcht, bald war jeder Schrecken vergessen, als ich seine Worte vernahm.

Ich werde nun versuchen seine Worte hier zu wiederholen:

"Ich danke dem edlen Erzähler für seine packende Version dieser Legende, wenn ich auch sagen muß, daß das Ende etwas fade und übereilt scheint. Aber das ist kaum seine Schuld. Ich muß sogar bemerken, daß ich aus seinem Mund die seit langem vollständigste und getreuste Version vernommen habe. Dafür möchte ich ihm auf ganz besondere Art danken: Ich will ihm einen weiteren Teil der Sage liefern, den kaum ein Sterblicher kennt.

Der sterbliche Held hat tatsächlich sehr lange dort gehangen, so lange, daß man ihn schon fast für unsterblich hätte halten können. Aber zuletzt ist er doch gestorben, wie es seine Natur war. Er ist gestorben wie es jedes sterbliche Wesen, und vor allem jeder Mensch einmal tun muß. Und sein Tod war weder besonders heldenhaft oder aufsehenerregend. Wahrlich nichts, um diese Legende zu bereichern. Eigentlich würde es genügen zu berichten, er sei zu guter Letzt von seinem Dasein erlöst worden.

Wenn nicht seine Liebe gewesen wäre.

Denn diese Liebe ist wirklich bemerkenswert. Hatte sie schon zu seinen Lebzeiten länger gehalten als je eine sterbliche Frau leben würde, und das entgegen aller Versuche seiner Kerkermeister, sie in Haß zu verwandeln. Aber diese Liebe sollte noch viel bemerkenswerter werden.

Denn sie ist nicht mit ihm gestorben, nicht mit seiner fleischlichen Hülle in die Unterwelt gestürzt, als die tauben Finger den Halt verloren.

Nein, sie ist wie eine Taube aufgestiegen, hinauf in die Welt der Lebenden, hinaus aus dem Kerkerturm, der solange Zuhause gewesen war, daß ganze Königreiche gekommen und gegangen waren.

Und dort muß sie sich niedergelassen haben, diese Liebe. Und dort ist sie wohl immer noch zu finden. Irgendwo in den Landen der Sterblichen, eine Liebe, die so stark war, daß sie selbst den Tod überwand..."

Mit diesen Worten endete sein Vortrag. Bald darauf verließ er die Taverne, und kein noch so freundliches Wort konnte ich davon abhalten. Überhaupt waren das die letzten Worte, die wir von ihm hörten, denn seit dem hat ihn niemand mehr gesehen.

Damit endet nun auch meine Geschichte. Ich will es euch überlassen, euch einen Reim darauf zu machen. Auch könnt ihr mir glauben oder nicht. Auf jeden Fall läuft mir noch immer ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich an diesen finsteren Gesellen denke.

ENDE

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Martin Spernau
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